Deliverance
Für den C64 erschien der Nachfolger von „Stormlord“ bereits im Herbst 1990, damals noch unter der Regie von Hewson. Jetzt braust der neue Plattform-Sturm auch über den Amiga, nur ist diesmal alles anders: der Hersteller, die Programmierer, der Spielablauf...
Nach „Stormlord“ ruhten sich Raffaelo Cecco und Nick Jones auf den geernten Lorbeeren aus; Was sie den „Brotkasten“-Besitzern seinerzeit als Fortsetzung zu ihrem erfolgreichen Jump & Run andrehen wollten, unterschied sich gerade mal in Nuancen vom Original, selbst die Grafiken waren teilweise 1:1 übernommen worden. Ob 21st Century wohl deshalb lieber Peter Verwyvelen für die komplett überarbeitete Amigaversion verplichtet hat? Uns kann’s egal sein, der Junge hat nämlich ganze Arbeit geleistet!
Neuigkeiten, wohin das Auge blickt, nur das Hintergrundmärchen blieb unverändert: Story und Spiel drehen sich nach wie vor um die böse Königin Bahd (die mit dem Leibhaftigen selbst im Bunde steht), die von ihr gekidnappten Feen und den stürmischen Rauscehart, der das ganze Schlamassel wieder in Ordnung bringen darf. Alles andere hat man derart gründlich umgestrickt, daß das Ergebnis nun weit eher an „Gods“ bzw. „Barbarian“ als an das alte „Stormlord“ erinnert. Nur, daß hier alles ein bißchen schöner und größer ausgefallen ist – der Held selbst würde bei manch anderem Game locker als Endgegner durchgehen.
Wer so groß und stark ist, braucht natürlich eine standesgemäße Waffe, deshalb trägt der Feen-Befreier eine vollautomatische 45er Magnum-Axt, die er sowohl schwingen, als auch seinen vielen Gegnern nachwerfen kann, und das sogar beliebig oft. Dafür gibt’s aber auch keine Extrawaffen; Extraleben fehlen ebenfalls, lediglich der Energie-Pegel unseres Kämpfers läßt sich durch entspanntes Herumstehen oder (besser) das Aufsammeln von Münzen wieder auffrischen. Im übrigen muß man halt mit seinen drei Bildschirmexistenzen haushalten, wobei ein Portrait am unteren Screenrand ständig über den Gesundheitszustand des Muskelprotzes informiert. Nun aber zu den einzelnen Leveln: Runde eins spielt im Satanspalast; hier geht es darum, möglichst viele Feen zu befreien, die zumeist in Kleiderschränken verborgen sind. Gelegentlich findet man dann auch Schlüssel, Fledermäuse und Spinnen – anscheinend war schon länger kein Kammerjäger mehr im Schloß. Neben diesem Ungeziefer treibt sich auch noch eine feuerspeiende Mischform aus Affe und Gartenzwerg herum, und ehe man die ungastliche Stätte endgültig verlassen kann, will noch ein glitschiggrüner Riesendrache besiegt sein. Anschließend geht’s in den Zauberwald: Während unser Muskelpaket über Bäume und Brücken klettert, erwachsen scheinbar harmlose Äste oder Hängebrücken zum Leben, und Raupen mutieren zu aggressiven Killer-Fliegen. Sobald auch die riesige Metallspinne am Levelende erledigt wurde, geht’s in den vierten und letzten Abschnitt, wo es mit der vertrauten Plattform-Metzelei schlagartig vorbei ist. Hoch über den Wolken reitet man auf einem Drachen und schießt mit der Laserkanone (!) auf die von rechts herandüsernden Gegner, wobei der Hintergrund stillsteht. An ein „echtes“ Ballerspiel reicht die Sache freilich nicht ganz heran, dafür passiert einfach zu wenig. Nach ungefähr zwei Minuten wechselt das Szenario ein letztes Mal: Satan höchstpersönlich erscheint, macht sich auf der Hälfte des Bildschirms breit und feuert aus allen Rohren und Poren. Spielerisch gehört Deliverance somit zwar eher zum Hausmannskost, doch was die optische Präsentation angeht – einfach irre! Dermaßen opulente, abwechslungsreiche und voller gruseliger Details bekommt man selbst in der Spielhalle nicht alle Tage zu sehen. Das gilt übrigens uneingeschränkt für die Hintergründe und die superb animierten Sprites: Wie echt die Spinnen krabbeln, wie widerlich die Gegner aussehen, wie ausgiebig das Blut spritzt – wahre Action-Freaks müssen das Game einfach lieben! Na schön, Titelmelodie, Sound-FX und Jingels können mit der Wahnsinnsoptik nicht ganz mithalten, dafür ist die Sticksteuerung stets Herr der Lage. Dazu kommen gut gemachte Technik-Raffinessen, etwa, daß man den Bildschirm etwas nach oben/unten/seitwärts scrollen lassen kann, um zu sehen, wie’s weitergeht. Und die vielen Fallen (z.B. energieschluckende Bodenplatten, riesige Geister-Fäuste und Speere, die an bestimmten Stellen unversehens daherfliegen) sind schließlich auch nicht ohne. Keine Frage: Deliverance hat ziemlich schamlos an „Gods“ maßgenommen, ohne jedoch dessen Komplexität und Spieltiefe zu erreichen. Nein, die labyrinthischen Level sind hier längst nicht so trickreich angelegt, außerdem fehlen Shops und Bonuskammern. Was 21st Century jedoch erreicht hat, ist so was wie eine zeitgemäße Version von „Barbarian“ – und wenn man an das bescheidene „Barbarian II“ denkt, ist das erheblich mehr, als Psygnosis von sich behaupten kann! (pb) Amiga Joker, Juni 1992 |
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hinzugefügt: September 11th 2014
Magazin: AJ
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Sprache: german